Demokratien weltweit stehen vor einer Reihe von Herausforderungen. Technologien transformieren Gesellschaften und soziale Beziehungen, ohne dass die Politik in der Lage wäre, diese Wandlungsprozesse rechtzeitig zu verstehen, geschweige denn effektiv zu steuern. Dort wo bestehende Systeme an ihre Grenzen geraten, entstehen Gelegenheitsfenster für neue Technologien. Es scheint kein Zufall zu sein, dass sich Bitcoin, die erste Kryptowährung auf Grundlage der Blockchain-Technologie im Jahr 2009, unmittelbar nach der Wirtschafts- und Währungskrise, etablierte.
Ein wichtiger Teil des digitalen (Infrastruktur)wandels ging zuletzt von Blockchains aus. Wie TCP/IP, auf dem das Internet basiert, sind Blockchains Protokolle, die es ermöglichen Verträge und Transaktionen und die sie leitenden Regeln zu programmieren. Über dezentrale peer to peer Netzwerke geführt ermöglichen sie eine kostengünstige und sichere Validierung von Transaktionen. Alle Parteien haben Einsicht in die vollständige Blockchain, in der alle Trans-aktionen manipulationssicher gespeichert sind.
Trotz der derzeitigen Konjunktur als revolutionäre Technologie sind Blockchains wie andere Innovationen insofern ambivalent, als ihre Rückwirkungen auf Systeme wie Gesellschaft und Politik von den auf diesem Protokoll aufbauenden Anwendungen abhängt. Gleichwohl ist ein zentraler Aspekt dieser Technologie von besonderer Bedeutung. Die radikale Transparenz, die durch die vollständige Zurück- und Nachverfolgung aller in der Blockchain erfolgten (oder in der Zukunft zu tätigenden) Transaktionen ermöglicht wird, ist zwar durch Anonymisierung eingeschränkt, in ihrer Grundanlage jedoch geeignet, die derzeitige Form, Wahrnehmung und tatsächliche Nutzung öffentlicher Diskursräume im Sinne eines „code is law“ nachhaltig zu verändern. In diesem Zusammenhang gewinnt Transparenz als Prinzip seit mehreren Jahren an Bedeutung und wird dabei auch als Menschenrecht diskutiert, da es selbst ursächlich ist für die Realisierung anderer Menschenrechte wie freie Meinungsäußerung.
Jenseits oft diskutierter Anwendungsmöglichkeiten wie Wahlen und Auslagerung von Verwaltungsaufgaben müsste eine entsprechende Forschungsagenda ergründen, unter welchen Bedingungen diese technologische Innovation in fluiden und flexiblen gesellschaftlichen Kontexten übernommen werden kann, wer ihre Regeln definiert und was dies für die Gestaltung des öffentlichen Raumes bedeutet, in dem Bürger demokratische Diskurse führen. Mit Blick auf den Einsatz der Blockchain-Technologie für demokratische Zwecke stellen sich aus meiner Sicht drei Fragekomplexe:
1. Welche Rückwirkungen hat Transparenz von Blockchain-Anwendungen auf soziale Akteure und deren Partizipation an Diskursen im öffentlichen Raum, insbesondere durch die ständige Verfügbarkeit von den in Blockchains enthaltenen Entwicklungen von Interaktionsstrukturen? Während etablierte Medien wie die New York Times bereits Blockchains nutzen um den Wahrheitsgehalt einzelner Aussagen zu verfolgen und messbar zu machen, steht hier im Mittelpunkt, wie solche Modelle Öffentlichkeit verändern können. Welche Auswirkungen hat die Omnipräsenz dieser Informationen auf Partizipation am öffentlichen Diskurs und wie ändert sich die Perzeption von Transparenz als Grundrecht?
2. Vertrauen im Sinne von Legitimation und Durchsetzung von Entscheidungen ist die Grundlage für das Funktionieren von Demokratie. Bisher wurde Vertrauen von demokratischen Institutionen generiert und garantiert. Blockchains bieten die Aussicht, die Generierung von Vertrauen von Institutionen auf das Protokoll zu verlagern und könnten somit zu einem Legitimationsverlust der Monopolstellung staatlicher Regelsetzungs- und Schiedsrichterfunktion führen. So denken unter anderem Institutionen wie die Europäische Zentralbank, wenn Blockchain-basierte Kryptowährungen zunehmend traditionelle Funktionen des Geldes übernehmen. Inwiefern haben Blockchains also das Potential mit grundlegenden staatlichen Leistungen zu konkurrieren? Welche Mechanismen charakterisieren ein Transaktionsmodell auf Blockchain-Technologie zwischen Bürger und Staat?
3. Soziale und politische Prozesse verändern sich ständig, beruhen auf Aushandlung als zentralem Mechanismus zur Herstellung von Konsens und Kooperation als Grundlage demokratischer Legitimität. Gleichzeitig erfolgen Modifikationen in öffentlichen Blockchains durch Konsens und dort wo Konsens aufgrund von klassischen Koordinierungsproblemen nicht erzielt werden kann, kommt es durch Abspaltungen zur Fragmentierung des Systems, wie das Beispiel Bitcoin zeigt. Die für Verhandlungen notwendige Informalität steht in einem Spannungsverhältnis mit der Rigidität und Irreversibilität, die Blockchain-Anwendungen inhärent sind. Wie kann das Spannungsverhältnis zwischen dieser Rigidität und der Notwendigkeit von Informalität als Charakteristikum sich ständig wandelnder sozialer Beziehungen aufgelöst werden? Inwiefern sind konsensuell programmierte Anwendungen als schwer veränderbare Regelwerke überhaupt geeignet, sozial fluide Kontexte zu fassen?